Beim Tag des guten Lebens arbeiten wir seit vielen Jahren erfolgreich mit den etablierten Bürgerhäusern in den unterschiedlichen Stadtteilen zusammen – darunter das Bürgerzentrum Deutz, das JuZi in Sülz, die Alte Feuerwache im Agnesviertel und natürlich das BüZe in Ehrenfeld.
Dieser Text ist als Vortrag für die Jahrestagung 2018 des Verband für sozio-kulturelle Arbeit e.V. enstanden. Er schloss an an einen Vortrag über die Geschichte der Bürgerzentren – von den Anfängen in England bis zur Gegenwart. Es geht darum, was etablierte sozio-kulturelle Zentren von einem „neuen“ Projekt wie dem Tag des Guten Lebens lernen können.
Weil in der Tagungsdoku nur die Präsentation erscheint – hier der Text in voller Länge.
Die Häuser der neuen Stadt.
Mit einem autofreien Sonntag haben wir 200 Vereine und Anwohner* sowie 100.000 Besucher*innen auf die Straßen gelockt. Was können sozio-kulturelle Zentren von unserer Erfahrung lernen?
Ich muss gestehen – ich kannte den Verband vorher nicht. Was ich kannte, sind die Kölner Bürgerhäuser. Sie waren immer da, sie gehören zur Stadt dazu, wir haben unser dort getroffen, in Projektbüros und Cafés. Ihre Kämpfe und ihre Entstehungsgeschichten waren für mich immer das – Geschichte. Ein Teil der Stadtgeschichte, der vergangen und vorbei war.
Was machen wir da eigentlich?
Der „Tag des guten Lebens“ ist davon geleitet, dass es sich eben nicht nur um ein Projekt an diesem einen Tag handelt. Sondern dass an diesem einen Tag etwas Größeres geschehen soll, dass es uns darum geht, die Stadt als Ganzes zu verändern. Ihr und den Menschen in ihr Impulse zu geben, eine Labor zu schaffen, in dem die Stadt erforschen kann, wie sie in Zukunft sein möchte. In dem ihre Bewohnerinnen und Bewohner mal rauskommen aus dem Trott, aus dem Status Quo von Parkdruck und Kommerz, und sich freier auf sich selbst und auf das Miteinander einlassen können. Und wir bieten Vereinen und allen anderen Menschen mit einer Botschaft und Lust auf öffentlichen Raum eine Bühne, sich ausprobieren.
Das ist Arbeit. Hinter dem Tag steht zum einen eine recht aufwändige Logistik – mit über 25 Tonnen Absperrmaterial, darunter 200 Halteverbotsschilder, seitenlange Verkehrs- und Helferpläne, Anträge und Abrechnungen. Aber auch: Hunderte Gespräche, die wir mit Menschen im Viertel führen. Und zwar mit allen – mit Pfarrern und Vereinsvorsitzenden, mit Bäckereiverkäuferinnen und Kneipenbesuchern, mit Menschen auf dem Markt und denen, die wir auf unsere Veranstaltungen im Vorlauf locken, und mit denen, die wütend an der Hotline anrufen. Und tausenden Gesprächen darüber hinaus, die wir gar nicht selber führen, sondern in denen die Menschen im Stadtteil miteinander planen, diskutieren und überlegen, was sie aus diesem Tag, dieser Gelegenheit machen wollen.
Der Tag findet jedes Jahr in einem neuen Stadtviertel statt, was auch heißt: Wir brechen jedes Jahr wieder neu auf, lernen ein Viertel kennen, seine Straßen und Menschen, seine Ecken und Kanten, lassen uns ein auf die Dynamik vor Ort und schauen, was passiert.
Am Tag backt dann der Exil-Wiener mit seinen Nachbarn den längsten Apfelstrudel der Welt, es wird musiziert und getanzt, No-Go-Areas werden zu Open-Air-Yogastudios, Hundeklo-Wiesen zu Nachbarschafts-Festplätzen. Und es findet Politik statt auf den Straßen der Stadt – es wird diskutiert und geplant.
Und am Abend stehen wir, auch beim fünften Mal, immer etwas ungläubig da und lassen den Tag und seine Atmosphäre und die tausenden Geschichten nachklingen.
All das organisieren wir aus einer sehr offenen Struktur heraus, im Dialog mit den Nachbarn, unter Einsatz eines Werkzeugkastens, in dem Social Media, Onlinearbeit, interaktive Workshopformate, Design Thinking etc. ganz selbstverständlich neben traditionellen Formaten, wie Flyern und Plakaten, stehen.
Was wollen wir von euch?
Die gute Nachricht: Wir arbeiten schon mit den Bürgerzentren zusammen, und zwar sehr engagiert und produktiv. Wir freuen uns, wenn wir Räume vor Ort im Viertel nutzen können – und wenn wir über die Bürgerzentren an die Kontakte zu Anwohnerinnen und Anwohnern kommen, wir profitieren von den Netzwerken und der Erfahrung der Bürgerzentren. Und auch die Bürgerzentren profitieren – von einem Gefühl des Aufbruchs im Stadtteil, von neuen Kontakten und Ideen.
Und doch ist da manchmal ein Moment der Fremdheit und eine gesunde Irritation, und über die würde ich gerne reden, denn da liegt ja vielleicht das Spannende.
Denn was prallt da aufeinander? Und ich überspitze ein wenig. Denn manchmal prallt unsere Energie und Freude an der Improvisation auf die doch manchmal sehr eingeschliffene Routine der Bürgerhäuser. Der revolutionäre Spirit der Anfangszeit hat sich „versozialarbeiterisiert“, mit allem Guten, wie dem Urlaubsanspruch und der fachlichen Expertise, und dem Schlechten. Manchmal scheint es, als seien die Bürgerhäuser ganz zufrieden in ihren Mauern, als hätten sie den Kontakt zum Viertel und zur Außenwelt ein wenig verloren. Die Professionalisierung der letzten Jahrzehnte führt dazu, dass zum Beispiel Abend- oder Wochenendtermine, die enorm wichtig für die Nachbarschaftsarbeit sind, teilweise nicht mehr wirklich wahrgenommen werden können.
Die, die Räume haben und für ihre Projekte nutzen, finden es ja vielleicht ganz angenehm, sich nicht mit neuen Nutzergruppen auseinanderzusetzen. Und wer neu rein will wird sehr viel kritischer beäugt als der, der seit Jahren oder Jahrzehnten drin ist.
Das führt zu absurden Ergebnissen. Dazu, dass Projekte wie „Köln spricht“, die sich mit Formaten in öffentlichen Räumen erfolgreich für Austausch und demokratisches Miteinander einsetzen, keinen Büro- oder Projektraum in Köln finden.
Es führt auch dazu, dass die Bürgerzentren zu großen Herausforderungen unserer Zeit wenig zu sagen haben. Ihre Stimme fehlt in der Klimadebatte, sie fehlt bei der Mobilitätswende, sie fehlt dabei, Digitalisierung in Deutschland für alle ein- und verträglich zu gestalten. Ein Beispiel: Die Forderung nach freien, und auch barrierefreien, Gehwegen kam sowohl in Köln als auch in Berlin aus der „unorganisierten“, sich gerade neu formierende Zivilgesellschaft. Auch zur Debatte um den Hambacher Forst, die viele politisch denkende Kölnerinnen und Kölner umtreibt, haben die Bürgerzentren meiner Beobachtung nach bisher wenig Zugang.
Und jetzt?
Die gute Nachricht: Unterm Pflaster liegt der Strand und ich glaube, unter der Kruste und Routine der Bürgerzentren liegen gleich zwei Schätze, die wir gemeinsam heben können.
Zum einen die widerständige Geschichte der Bürgerzentren. Sie wurden ja in den allermeisten Fällen nicht „von oben herab“ geschaffen, sondern von unten, teils durch Besetzung, erkämpft. Neue soziale Bewegungen genau wie die Subkultur befinden sich momentan in einer zunehmend prekären Lage. Ehrenfeld symbolisiert das – ein Club nach dem anderen schließt, Konzerte und Partys finden nur noch weiter draußen statt, die Subkultur im Viertel wird systematisch verdrängt. Auch für Gründer, Gemeinschaftsbüros etc. ist die Lage prekär – 15 Euro sind bei Neuvermietungen im Gewerbebereich mittlerweile normal. Hierzu gibt es zwar eine Debatte, und auch im Haushalt eingestellte Gelder. Aber es wenig Aktivitäten, um neue Räume für soziokulturelle Nutzungen dauerhaft und niedrigschwellig zugänglich zu erschließen. Zumindest in Köln haben die sozio-kulturellen Zentren und Bürgerhäuser gezeigt, wie sich Räume langfristig sichern lassen, und welche Faktoren dabei wichtig sind – wie Eigentumsrechte und solide Betreibermodelle.
Zum zweiten: Der Impuls, auch über die eigenen Räume hinweg gesellschaftlich wirksam zu sein und zu den großen Debatten der Zeit beitragen zu wollen, lässt sich, dort wo er eingeschlafen ist, wiederbeleben. Der anstehende Generationenwechsel ist hier eher Chance als Risiko. Co-Creation, Sharing Economy, Lastenräder, Repair-Cafés, Maker-Szene, urbane Interventionen, etc. – solche Konzepte lassen sich wunderbar in die Arbeit der Bürgerhäuser integrieren, ja, diese können sie zu neuen Zielgruppen tragen. Der Umgang mit Graffiti ist ein Beispiel, wie neue, subkulturelle und ihrem Ursprung nach widerständige Ausdrucksformen Teil der formalen sozio-kulturellen Arbeit werden können. Die Willkommenskultur- und Integrationsarbeit ist ein anderer – hier können die formalen Strukturen der Bürgerhäuser den Staffelstab der unorganisierten, spontanen zivilgesellschaftlichen Hilfen übernehmen, sobald diesen die Luft ausgeht und sich angesichts veränderter Problemlagen, zum Beispiel von der Nothilfe hin zur Arbeitsmarktintegration, Professionalisierungsansprüche stellen.
Zum dritten: Die neuen, freien zivilgesellschaftlichen Akteure können gemeinsam mit den Bürgerhäuser lernen, wie man sich professionalisiert und gegenüber der Politik und anderen Akteuren auftritt, ohne seinen Drive zu verlieren. Denn die grundsätzlichen Fragen sind ja ähnliche, auch bei den jungen Wilden stellt sich nach ein paar Jahren die Frage nach Urlaubsvertretung, Altersvorsorge, Qualifizierung, Supervision etc. Und es stellt sich die Frage, wie man neue Impulse und neue Menschen in eine Organisation integrieren kann, deren Selbstverständnis und Team sich aus einem Grundgefühl heraus gefestigt und formalisiert hat.
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.